Gelangweilt kritzelte ich auf meinem Pergament herum. Da ich das nun schon seit längerer Zeit tat, war es bereits größtenteils mit meinen Malereien bedeckt. Ich verpasste einem zuvor gezeichneten Herzchen Teufelshörnchen. Mein Gott, ich fühlte mich, als wäre ich noch in der Vorschule. Aber es war auch so gut wie unmöglich, den Worten meines Lehrers zu folgen. Den Worten meines Privatlehrers. Seufzend riss ich den Blick von dem Pergament los und heftete ihn auf den Mann, der mir seit gefühlten zehn Stunden etwas über die Koboldaufstände vor Jahrhunderten erzählte. Obwohl ich seine einzige Schülerin war und er mir seine ganze Aufmerksamkeit widmen sollte, bemerkte er nicht, dass ich ihm schon seit Ewigkeiten nicht mehr zuhörte und stattdessen zu malen begonnen hatte. Er starrte die Wand hinter meinem Rücken an und schien mich vollkommen vergessen zu haben. Ich bezweifelte sogar, dass er bemerken würde, wenn ich aufstand und einfach den Raum verließ. Was für ein Idiot. Ich versuchte mir die Müdigkeit aus den Augen zu reiben. Es kostete mich große Willenskraft, sie überhaupt noch offen zu halten. Das Thema über das er redete, könnte eigentlich sehr spannend sein. Professor Michaelson rasselte es aber so monoton herunter, dass ich schon längst das Interesse verloren hatte. Mein Rücken schmerzte vom langen Sitzen. Ächzend dehnte ich meine Nackenmuskulatur und streckte meine Glieder.
„Das war alles für heute. Am Montag werden wir hier wieder ansetzen.“, sprach Michaelson endlich die erlösenden Worte. Nicht nur die Geschichtsstunde war vorbei, sondern mein gesamter Unterricht für heute. Plötzlich hellwach, schnappte ich mir sowohl meinen Federkiel als auch das Pergament und stürmte noch vor dem Professor aus dem Raum. Er kannte den Weg inzwischen selbst. Zwar hatte es einige Zeit gedauert, bis er sich in dem riesigen Haus zurecht gefunden hatte, doch das konnte ich ihm bei bestem Willen nicht verübeln. Das Haus, in dem ich wohnte, war mit ganzen sieben Schlafzimmern, drei großen Badezimmern, zwei Gästetoiletten, einer offenen Küche, die an einen Salon grenzte, und einem überdimensionalen Wohnzimmer mit einem bis unter die Decke reichenden Kamin ausgestattet. Hinzu kam ein großer Garten mit Pool und privatem See. Ach, ich hatte die zwei Arbeitszimmer vergessen. Eins wurde als Büro genutzt und das andere für meinen Unterricht. Das Erstaunlichste an der ganzen Sache war, dass nur meine Mutter und ich diese Villa bewohnten.
Die Zimmer erstreckten sich auf zwei Etagen. Ich selbst rannte die Marmortreppe zu meinem Schlafzimmer hoch. Dort angekommen, warf ich die Feder und das Pergament achtlos auf meinen Schreibtisch und rannte wieder runter in die Küche. Hey, es war Wochenende und bis Montag würde ich mich nicht mehr mit langweiligem Schulkram beschäftigen müssen! Hausaufgaben bekam ich nie auf, da wir immer alles im Unterricht behandelten und sie dadurch überflüssig wurden. Betrachtete ein Außenstehender das Geschehen, so schien ich das perfekte Leben zu haben. Das Problem war nur: Mein Leben war ganz und gar nicht perfekt. Ja klar, ich bekam Unmengen von Taschengeld, wohnte in einer Villa und wurde von Privatlehrern unterrichtet. Etliche andere Teenager würden dafür töten, doch die hatten absolut keine Ahnung. Durch den Privatunterricht konnte ich keine Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen, schließlich hatte ich keine Klassenkameraden. Auch das viele Geld konnte die Einsamkeit nicht verschwinden lassen. Und Himmel, ich war einsam! Seit ich mich erinnern konnte, wohnte ich nun schon hier und kam so gut wie nie vor die Tür. Ich war noch nicht volljährig und durfte somit nicht disapparieren. Ich kannte niemanden, zu dem ich per Flohnetzwerk reisen konnte und auch meine Mutter nahm mich nirgendwo mit hin. Es schien, als wolle sie mich hier vor der Welt geheim halten. Ich hatte es satt, hier gefangen zu sein. Gefangen in einem goldenen Käfig. Schon oft hatte ich meine Mutter angefleht, mich auf eine normale Schule gehen zu lassen. Von einem meiner Professoren hatte ich erfahren, dass die Schule, die junge, englische Zauberer besuchten, Hogwarts hieß. Ich würde alles dafür geben, um dorthin gehen zu dürfen, doch meine Mum verbot es mir. Immer wenn ich sie nach einer Erklärung fragte, wich sie aus und meinte, dass ich mich nicht beschweren solle ich hätte schließlich Privatlehrer und mir würde es an nichts fehlen. Meine Antwort darauf lautete für gewöhnlich, dass ich jedoch keine Freunde hatte und gerne mal etwas Anderes als dieses Haus sehen würde. Daraufhin folgte ein Schulterzucken ihrerseits und ein „Es tut mir leid, aber es geht nicht. Glaub mir, es ist nur zu deinem Besten.“ Ja, ich kannte diese Unterhaltungen inzwischen auswendig. Kein Wunder, da sie immer gleich abliefen. Achso, mein Vater. Ja, ich hatte keine Ahnung, wer mein Vater war. Auch das war ein Tabuthema für meine Mutter. Vielleicht wusste sie es auch selbst nicht keine Ahnung.
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