Als Eiskristall zu sich kam, konnte sie nicht sagen, wie lange jener Zeitpunkt, an dem sie Federflugs Geheimnis entdeckt hatte, her war. Die weiße Kriegerin brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Ihr Umfeld kam ihr merkwürdig vertraut vor...
Das Lager!
Die verschwommene Umgebung vor ihren Augen fügte sich langsam zu einem klaren, gleichmäßigen Bild zusammen.
Eiskristall machte einen kleinen, unsicheren Schritt. Ihr war schwindelig und sie zitterte trotz der Hitze am ganzen Körper.
Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen, erinnerte sich bruchstückhaft an die Ereignisse, die sie so sehr aufgewühlt hatten.
Langsam fügten sich auch alle Einzelheiten zu einer Erinnerung zusammen...
In ihren Augen nahm ein Bild eine klare Form an. Federflug und die getigerte Kätzin...
Es tat weh, daran zu denken, es war wie ein Stich direkt in ihr Herz. Eiskristall verspürte Trauer, Enttäuschung... aber da war noch etwas.
Wut.
Die Kätzin öffnete ihre Augen wieder und schüttelte die Verwirrung ab, wie Dreck, den sie loswerden wollte. Dann trat sie leicht schwankend in die Mitte der Lichtung.
Die Krieger Hummelnase und Himbeerblüte kamen auf sie zu. "Wie geht es dir? Wo hast du gesteckt? Fliederpfotes Kriegezeremonie findet bald statt!"
Eiskristall machte eine Bewegung, als müsste sie eine lästige Fliege verscheuchen. "Mir geht es gut.", brachte sie mühsam hervor.
Dabei weiß ich doch, dass es mir ganz und gar nicht gut geht. Jeder Atemzug tut mir noch weh, ich habe mir gerade die Seele aus dem Leib gerannt, weil mein Gefährte sich seit längerem mit einer anderen trifft. Es ist also klar, dass es mir alles andere als gut geht!
Doch Eiskristall wollte kein Mitleid. Sie wollte Rache.
Und die werde ich mir nehmen!
Sie achtete nicht mehr auf ihre beiden Freunde, die sehr ratlose und betroffene Gesichter machten.
Sie achtete auch auf den Rest des Clans nicht, obwohl sie die Blicke vieler im Rücken spürte. Schwer atmend kam sie an der Kinderstube vorbei.
"Eiskristall, spielst du etwas mit uns?", bettelte Birkenjunges, ein braun gestreifter, frecher Kater, den Eiskristall wegen seiner offenen Art sehr ans Herz geschlossen hatte. Normalerweise hätte sie das sofort getan, doch heute ignorierte sie die Frage, was ihr einen fragenden Blick von Glitzerfell, einer der Königinnen, einbrachte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam sie beim Bau des Anführers an. Dort saß Honigstern und gab sich mit Pilzfell die Zungen.
Als sie vor Honigstern stehen blieb, überkamen Eiskristall plötzlich Bedenken. Sollte sie wirklich...
Es ist meine Pflicht als treue Kriegerin des WiesenClans.
Die leise Stimme in ihrem Kopf, die ihre Zweifel äußerte, überhörte Eiskristall. Sie neigte den Kopf vor dem gelbbraunen Krieger. "Honigstern, ich muss mit dir reden. Es geht um Federflug. Er..."
Sie ärgerte sich über sich selbst. Waren diese kleinen Worte wirklich so schwer auszusprechen?
Die weiße Kätzin holte tief Luft. Ihr Blick wanderte zu Pilzfell, der sich inzwischen zu Farnschatten gesellt hatte. Sie waren ungestört, jetzt oder nie!
"Er..." Und dann sprudelte die ganze Geschichte nur so aus ihr heraus. Wenn sie sich hätte stoppen wollen, wäre sie vermutlich gescheitert.
Als sie am Ende ihrer Geschichte angelangt war, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Honigstern stand ganz ruhig da, sein gelbbraunes Fell hob und senkte sich leicht. Seine grünen Augen waren in die Ferne gerichtet, während er tief in Gedanken versunken war.
Eiskristall wartete. Jetzt, wo es heraus war, sollte sie doch eigentlich so etwas wie Schadenfreude oder wenigstens Genugtuung verspüren.
Aber warum tue ich das nicht?
Ihr ganzer Zorn war wie weggeblasen. Das einzige, was sie empfand, war eine innere Leere, ein tiefer Abgrund in ihr.
Ich habe Federflug verraten.
Hatte sie das? Sie war doch nur ihrem Clan treu geblieben, oder etwa nicht?
Eiskristall blinzelte. Trotz der warmen Luft und der Sonne, die hoch über ihnen am Himmel stand, fröstelte sie plötzlich. Ihr Fell stellte sich auf. Von diesem Moment an wusste sie, dass sie einen Fehler begangen hatte.
Einen Fehler, den ich mir nie verzeihen werde.
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