Prolog
Zitternd kauerten sich die Jungen in die Ecke. Sie konnten nur hoffen, dass ihr Angstgeruch nicht bemerkt würde. Kassiopeia wusste, dass sie die Kampfgeräusche nie vergessen würde. Die angsterfüllten Schreie, das wilde Knurren, das verzweifelte, gurgelnde Kreischen – all das wurde nur von ihrem rasenden Herzschlag übertönt. Sie konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, nicht laut zu keuchen, und bedeutete ihrem Bruder, ebenfalls stillzuhalten. Kassiopeia wusste, dass er genauso verängstigt war wie sie. Sie wünschte, sie wäre älter. Sie wünschte, sie könnte den Katzen helfen, die dort angegriffen wurden. Ihr schien, als würden Blattwechsel vergehen, und als würde der Kampf nie enden. Sie hoffte inbrünstig, dass ihre Hoffnung, ihre einzige Hoffnung, sich erfüllen würde, doch sie war klug genug, um zu wissen, wie es enden würde. Dieses Morden hatte nicht nur einen Zweck. Und die Angreifer hatten nicht die Absicht, Gnade walten zu lassen und diese Absichten zu vergessen. Sie grub die Krallen in den Boden, als sie einen Schrei hörte, der ihr das Blut gefrieren ließ. Sie sank zitternd in sich zusammen, und wünschte, sie könnte einen Laut von sich geben, dann würde sie brüllen, brüllen vor Schmerz, Trauer, Zorn und Verzweiflung für das, was man ihnen antat. Sie hielt sich die Ohren mit ihren Pfoten zu und hoffte, nichts von dem hören zu müssen, was vor sich ging. Sie war mit ihren Nerven endgültig am Ende.
Nach einer geraumen Weile wurde sie von ihrem Bruder angestupst, der nun noch verängstigter aussah als vorher. Kassiopeia kannte den Grund dafür: der Kampf hatte aufgehört. Sie nahm die Pfoten von den Ohren und setzte sich auf. Tatsächlich: kein einziges Geräusch war mehr zu hören. Totenstille. Da hielt sie es nicht mehr aus. Sie hatte noch immer entsetzliche Angst, Angst vor dem, was sie nun sehen würde, doch sie musste es wissen. Sie stand auf zitternden Beinen auf und taumelte hinaus. «Kassi», flüsterte ihr Bruder, Sirius, erschrocken. Er versuchte trotz allem, noch stark für sie zu sein, das wusste sie, und sie schätzte es auch. Aber sie wusste ebenso, dass er genauso panisch war wie sie. Und trotzdem wollten sie beide wissen, was man ihnen angetan hatte.
Sie trat hinaus – und brach sogleich zusammen. Es war, wie sie befürchtet hatte. Und da konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Sie jaulte laut auf. Vor Schmerz, Trauer, Verzweiflung, Entsetzen, Hilflosigkeit, Wut, Hass, Verbitterung. All das, was sie in den letzten Stunden gespürt hatte und nicht loswerden konnte, brach nun durch sie hindurch. Sie spürte, wie sie sanft von Sirius zurückgezogen wurde, weg vom Schlachtplatz, wieder in die Sicherheit der Bäume. Er befürchtete wohl, dass die Angreifer zurückkommen würden. Aber sie wollte nicht. Kassiopeia strampelte wild und schlug nach ihrem Wurfgefährten. «Lass mich los!», heulte sie, «Sie werden nicht zurückkommen! Diese Feiglinge doch nicht! Sie haben schließlich, was sie wollten! Und selbst wenn, dann werde ich sie fertigmachen!» Sirius ließ sie sanft zu Boden fallen. Er knurrte: «Das könntest du nicht, und das weißt du. Wir sind viel kleiner und schwächer als sie. Sie würden uns mit einem einzigen Pfotenhieb umbringen. Wie sie es bei unseren Eltern getan haben.» Er sah zu den beiden leblosen Körpern hinüber.
Kassiopeia wimmerte haltlos und kroch zu den Leichen hinüber. Sie beugte sich über den zerfetzten Körper ihres Vaters. Vergeblich versuchte sie, noch einmal seinen Geruch aufzunehmen, doch es war sinnlos – der Blutgeruch verdeckte alles andere. Dann zog sie sich zum toten Körper ihrer Mutter hin und legte ihren Kopf auf deren erkaltete Flanke. Sie schloss die Augen. Nichts wollte sie lieber als hier einfach zusammenzubrechen und ebenfalls zu sterben. Sie wollte aufgeben. Zu ihren Eltern gehen, wo immer sie sich befinden mochten. Doch da stieß Sirius sie an. «Noch ist nicht alles verloren», flüsterte er.
Kassiopeia starrte ihn verständnislos an. «Bist du noch ganz bei Trost! Wir haben unsere Eltern verloren! Und das soll nicht alles verloren sein!»
«So war das nicht gemeint», miaute er düster. «Aber vielleicht…haben sie Andromeda nicht entdeckt.»
Beim Gedanken an ihre jüngere Schwester sprang Kassiopeia sofort auf. «Wir müssen sie finden! Sofort! Bevor sie von den anderen gefunden wird!» Sie rannte umher und schnupperte überall. Sirius folgte ihr auf der Pfote. Zusammen durchsuchten sie das ganze Lager, und danach, als sie immer noch keine Spur gefunden hatten, auch die nähere Umgebung. Sie riefen immer wieder nach ihr, doch schließlich kamen sie zur Übereinstimmung, dass es keinen Zweck hatte, weiter nach Andromeda zu suchen. Sie ließen beide die Köpfe und Schwänze hängen, als Sirius einfiel: «Abgehauen! Vielleicht ist sie so intelligent gewesen, dass sie sich davongemacht hat, als es zum Kampf kam!» Seine Wurfgefährtin sah ihn unwirsch an und meinte nur: «Dann müssten sie sie bemerkt haben. Als wir sie zuletzt gesehen haben, war das Herzschläge vor dem Kampf und in unserer Nähe. Und selbst wenn sie entkommen konnte, sie ist gerade mal ein paar Sonnenaufgänge alt. Sie kann unmöglich für sich selbst sorgen.» Mit dieser vernichtenden Antwort löschte sie den winzigen Hoffnungsfunken in Sirius’ Augen.
«Du hast Recht», gab er zu. «Und wie geht es weiter?»
Seine Schwester antwortete nicht sofort, dann
wandte sie sich an ihren Wurfgefährten. «Jetzt», erwiderte sie, «werden wir uns darauf vorbereiten, unsere Familie zu rächen.»
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