Nachdenklich trug ich den bewusstlosen Jungen, in dessen Körper ich nun schon seit Jahren wohnte, zu dem kleinen, modrigen Bett, wo ich ihn vorsichtig niederlegte. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde Marik vorbeischauen, um ihn mitzunehmen für unser kleines, fieses Theaterstück. Besser gesagt: Wir wollten die Freunde des Pharaos und ihn selber natürlich auch reinlegen. Der Pharao, wenn ich nur an ihn dachte–Arroganter Grünschnabel! Der hatte doch die Schicksalsfee irgendwie bestochen, damit sie ihm nur Glück schenkte. Deshalb war dann für mich auch keins mehr übrig. Immer nahm mir der Pharao alles–meine Freiheit, meine Existenz, mein Leben... Meine Ziele, meine Träume, meine Freunde–nichts ließ er mir. Aber das interessierte Niemanden. Für die Anderen war er doch bloß der ach so tolle, gut aussehende, gerechte, liebevolle Pharao–lächerlich. Und ich wiederum war der böse, gemeine, unberechenbare Bakura, der den armen Ryou die ganze Zeit ausnutzte. Besonders Letzteres trieb mich alle paar Stunden zur Weißglut–wie konnten diese Vollidioten von Menschen das behaupten? Sie hatten doch gar keine Ahnung, wie Ryou und ich zueinanderstanden. Okay, ich nutzte ihn schon manchmal aus, was bei seiner Naivität auch nicht schwer war, aber für mich war er mehr als nur ein Mittel zum Zweck. Er war mein Körper und deswegen zu beschützen. Auch wenn ich ihm das natürlich nie auf die Nase binden würde, weil er sonst wahrscheinlich übermütig werden würde. Leise seufzte ich kopfschüttelnd und ging zum Fenster, dessen Scheibe grau und verschmiert war. Draußen flackerten irgendwelche Lichter und man hörte vereinzelt das Bellen von Hunden. Es war Morgen, die Nacht hatte ich ja schon hinter mir. Normalerweise bedauerte ich das, denn die Nacht war meine Lieblingszeit. Das Mondlicht verbrannte mir nicht wie das Sonnenlicht meine Haut und ich liebte es durch die dunklen, schummrigen Straßen zu streifen. Dabei war es dann immer so schön ruhig und geheimnisvoll–Niemand belästigten mich, weder Ryou, noch der Pharao oder seine Bande. Kein Marik und kein Kaiba–nur ich und mein Schatten, der mir der treuste Wegbegleiter war, den ich je getroffen hatte. Er ließ mich nie im Stich und widersprach mir auch nicht–er war einfach da und gab mir stillschweigend immer seine Zustimmung. Ja, die Nacht war wirklich wie eine heilende Oase in der unendlichen Wüste der Jahre für mich. Doch diese Nacht war anders gewesen. Alles war anders. Alles würde anders werden. Und irgendwie, ich konnte es mir selber nicht erklären, verursachte das in mir ein flaues Bauchgefühl. Tief atmete ich ein und aus, um die schweren Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen in das Reich der Schatten, dann wandte ich mich abrupt von der verschmierten Scheibe ab und schritt zu dem Bett. Müde setzte ich mich auf die Kante und starrte Ryou an. Wie er da um jeden Atemzug rang... Hatte ich es vielleicht übertrieben? Langsam machte ich mir doch Sorgen–so, wie er da um jedes Quäntchen Lebensenergie röchelnd da lag... Und an seinem Zustand war ich schuld. Ich ganz allein. Nachdenklich strich ich meinem Hikari durch die weißen Haare, die mich an Schneeflocken erinnerten. Schnee, der von Bluttropfen geziert war... In Ägypten hatte es nie Schnee gegeben, ich kannte ich bloß von Erzählungen. Erzählungen über das luxuriöse Leben des Pharaosohns Atem, der dieses Zeug angeblich in seine Getränke geschüttet bekomme. Ach, wie hatte ich den Mistkerl darum beneidet, ich, ein Straßenkind ohne Hab und Gut, nur bewaffnet mit einem Messer und seinem ebenso scharfen Verstand. Außer diesem war mir nichts vom Schicksal geschenkt worden. Wie gesagt, die Schicksalsfee hatte eben noch nie etwas für mich übrig gehabt. Nicht damals vor tausenden von Jahren und auch nicht heute. Jetzt stand ich hier, wurde von Jedem gehasst als die Verkörperung des Teufels, während dieser verwöhnte Atem von allen als großer Held angesehen wurde. Und dabei war ich doch eigentlich nur ein normaler Mensch, mittlerweile eben nur noch, wegen–wie sollte es auch anders sein–dem Pharao, eine körperlosen Seele, die von Niemanden den Rücken gedeckt bekam. Nicht, dass ich das nötig hätte. Aber es wäre schön zu wissen, dass ich nicht jedem egal war. Nicht von Allen als Übel angesehen zu werden, das ausradiert werden musste.
Ach, was redete ich da? Das waren doch nur irgendwelche unbedeutende Träume, die es sowieso nicht wert waren, im Herzen behalten zu werden. Und warum? Ganz einfach: Der Pharao würde sie mir sowieso früher oder später zerstören, genau wie alles andere, was mir jemals etwas bedeutet hatte.
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